Stellungnahme des Dortmunder Kreisvorstands zu Kundgebungen der LINKEn gegen die „Querdenker:innendemonstrationen“

Ohne Frage ist mit Sorge zu betrachten, dass rechte, faschistoide oder gar faschistische Kräfte die in vielen Städten stattfindenden „Querdenker-Demonstrationen“ unterwandern, in­strumentalisieren und teilweise sogar selbst bzw. mitorganisieren.

Ebenso bedenklich und gefährlich ist die pauschale Wissenschaftsfeindlichkeit vieler Teilneh­mer:innen, die die (wenn auch bei weitem nicht eindeutige) Faktenlage zu Corona ignorieren oder leugnen und Falschinformationen in die Welt setzen. Leider fallen diese Falschinforma­tionen oft auf fruchtbaren Boden besonders bei denjenigen, die als Folge der politisch getrof­fenen Maßnahmen erhebliche Nachteile bis hin zur Gefährdung der eigenen (wirtschaftli­chen) Existenz hinnehmen müssen. Es beteiligen sich aber auch die letztgenannt Betroffe­nen an den „Querdenkerdemonstrationen“ – und zwar ohne dass man ihnen eine rechte Ge­sinnung oder Wissenschaftsfeindlichkeit unterstellen dürfte.

Die Verwirrung ist groß.

Die Spaltung der Gesellschaft hat sich unter dem Brennglas der Co­ronapandemie nicht nur deutlicher gezeigt, sondern sogar noch weiter verschärft. Sie reicht hinein bis in Familien und Freundeskreise, in denen sich Coronaleugner:innen, die Impfgeg-ner:innen oder Kritiker:innen der getroffenen und unzweifelhaft einschränkenden Schutzver­ordnungen der Politik mit denen überworfen haben, die die Impfung befürworten und Schutz­verordnungen für notwendig und angemessen halten.

In diesem Spannungsfeld wird nun der Dortmunder Vorstand der LINKEn aufgefordert, die Mitglieder unseres Kreisverbands zur Teilnahme an Gegenkundgebungen zu den „Querden­kerdemonstrationen“ aufzurufen. Einige Genoss:innen zeigen sich enttäuscht, dass dies bis­her nicht geschehen ist.

Die schriftliche Aufforderung eines Genossen, alle Mitglieder zur Teilnahme an den Gegen­demonstrationen aufzurufen, haben wir sogar aus zwei Gründen (zunächst) zurückgewiesen: Zwar sehen wir innerparteilich Einigkeit, was die Kritik an den Folgen der Corona-Schutzver­ordnungen vor allem für die wirtschaftlich und sozial Benachteiligten betrifft. Allerdings ist die Partei insgesamt gesehen einigermaßen weit von einem Konsens darüber entfernt, wie denn angemessene Schutzmaßnahmen (einschließlich Impfung!) konkret auszusehen haben. Es gibt sogar (auch in unserem Dortmunder Kreis) Genoss:innen, die das Virus verharmlosen und Impfungen aus wissenschaftlich nicht haltbaren Gründen pauschal ablehnen – z.T. mit Argumenten, die denen der „Querdenkerszene“ recht nahe kommen. Das Fehlen einer ein­heitlichen Parteilinie, wie der Pandemie selbst zu entgegnen ist, war unser erstes Bedenken, was den Aufruf zur Teilnahme an den Gegendemonstrationen angeht.

Wichtiger aber: Wir haben nach wie vor Bedenken, Genoss:innen zur Teilnahme an den Ge­genkundgebungen aufzurufen – nunmehr sogar aus zweifachem Grund. Zunächst bereitet es uns weiterhin Sorge, Mitglieder dazu aufzurufen, sich in eine sie möglicherweise selbst gefährdende Situation zu begeben. Auch wenn das Risiko eher gering ist, sich unter freiem Himmel mit dem Virus zu infizieren, sofern die Abstandsregeln eingehalten und Schutzmas­ken (FFP2!) getragen werden, ist es doch gerade vor dem Hintergrund der höheren Anste­ckungsgefahr durch die Omikronvariante, die zur Zeit die Zahl der Infizierten in die Höhe schnellen lässt, nicht gänzlich auszuschließen. Selbstverständlich wollen wir die Mündigkeit unserer Mitglieder, für sich selbst die richtige Entscheidung zu treffen, mit der Äußerung die­ser Bedenken nicht infrage stellen!

Hinzu gekommen ist, dass den Teilnehmer:innen der „Querdenkerdemonstrationen“ aus der Gruppe der Gegendemonstranten „Sprüche“ entgegengeworfen werden, die wir für völlig un­angemessen halten und die dann, wenn Genoss:innen mit LINKE-Fahnen daneben stehen und sich nicht in eindeutigster Weise distanzieren, sogar für parteischädigend sein könnten. Insbesondere aus den Kreisen der Antifa schallt den Teilnehmer:innen der „anderen Seite“ der Pauschalvorwurf des „Antisemitismus“ entgegen. In einem Aufruf der Partei „Die PAR­TEI“ schwingt diese Pauschalität ebenfalls mit. Die Gleichsetzung von „Esoterik“ mit „Antise­mitismus“ (so kritisch die „Esoterik“ in ihrer Unwissenschaftlichkeit auch zu sehen ist!) kommt noch hinzu. Gleichzeitig sucht man in beiden Gruppen die weiterhin dringend notwendige Thematisierung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die ohnehin Benachteiligten der Gesellschaft, die sich als Folge der Coronapolitik ergeben haben, und vor allem Konzepte, wie diese zu kompensieren und abzuwenden wären!

Das ist nicht nur eine nicht hinnehmbare Verharmlosung des Antisemitismus’ selbst. Mit sol­chen „Parolen“ werden auch all diejenigen diskreditiert, die sich in ihren Nöten von der Politik nicht wahrgenommen sehen. Auch wenn natürlich zu kritisieren ist, dass sich diese Men­schen Demonstrationszügen anschließen, in denen Rechte und Coronaleugner:innen ihre Parolen skandieren und ihre Fahnen schwenken, tragen die genannten Pauschalvorwürfe und Zuschreibungen eher dazu bei, dass die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird und Menschen, die sich in Not befinden und für die wir LINKE uns doch einsetzen wollen, in die rechte Ecke gedrängt werden.

Den Aufruf der Partei „Die PARTEI“ an alle demokratischen Parteien und Organisationen in Dortmund, sich an den Gegenkundgebungen zu beteiligen, nehmen wir vor diesem Hinter­grund kritisch zur Kenntnis.

Nun ist „Nichtstun“ angesichts der Aufmärsche der „Querdenker“ keine Alternative. Die Betei­ligung an Gegenkundgebungen setzt aber nach unserer Auffassung zweierlei voraus. Die erste Bedingung – nämlich als Partei mit klaren und unmissverständlichen Aussagen aufzu­treten – mag noch einigermaßen leicht zu erfüllen sein. Es sollte jeder und jedem klar sein, dass das einfache Schwenken LINKEr Fahnen in unmittelbarer Nachbarschaft von Gruppen und Personen, die die oben genannten „Sprüche“ skandieren, kein günstiges Licht auf uns als Partei wirft, ja sogar parteischädigend sein kann.

Die zweite Voraussetzung, die uns notwendig erscheint, ist allerdings unserer Auffassung nach selbst dann, wenn wir mit klaren Aussagen an den Gegenkundgebungen teilnehmen, schwerer zu erfüllen: Nämlich die eindeutige Distanzierung von einer eigentlich vielfältig zu­sammengesetzten Gruppe, deren hörbarste Stimmen jedoch alles, was nicht ihrer Auffas­sung entspricht, als "faschistisch" oder "antisemitisch" bezeichnen. Auf­forderungen von Genoss:innen, sich (wenn auch mit eigener Stellungnahme) in die Protest­bewegung „einzureihen“ (!), sehen wir eher als Bestätigung dafür an, dass unsere diesbe­züglichen Befürchtungen ihre Berechtigung haben.

Wir haben uns als Kreisvorstand nun dennoch entschieden, euch auf die Gegenkundgebun­gen hinzuweisen. Wir respektieren die individuellen Entscheidungen, die ihr trefft – gleich ob ihr euch zum Schutz eurer eigenen Gesundheit die Anfahrt zu und Teilnahme an den Gegen­kundgebungen nicht zumuten wollt oder aber eure Beteiligung an ihnen für richtig haltet.

Allerdings wünschen wir uns, dass ihr euch im Rahmen eurer Möglichkeiten klar distanziert von den schädlichen Parolen und den Leuten, die sie skandieren.

Mit solidarischen Grüßen

Euer Kreisvorstand